Segmentanatomie und Akupunktur Massage nach Radloff® (1)

In der folgenden Artikelserie werden die bereichernden Möglichkeiten, die sich aus der Segment-Anatomie für die Akupunktur Massage nach Radloff ergeben, erläutert. Die Kenntnisse dieser strukturellen Gegebenheiten ermöglichen es, energetische Befunde differenzierter zu interpretieren und zu erweiterten Behandlungsansätzen vorzustossen.

Der Ausgangspunkt für die intensivierende Arbeit mit der Segment-Anatomie, bildet das Grundprinzip der APM nach Radloff: Das Schaffen von energetischen Flussbedingungen und das gezielte Verlagern von Energie. Die anatomischen Gegebenheiten der neuralen Strukturen und der segmentalen Gesetzmässigkeiten decken Korrespondenzen und Korrelationen auf, die sich, wie jede andere Beeinträchtigung, energetisch manifestieren.

Zur Anwendung gelangt diese erweiterte Betrachtung insbesondere bei der Befunderhebung und der Behandlung von organisch verursachten Beschwerden.

Die richtige Interpretationen von Projektionsschmerzen und vegetativ, reflektorischen Zeichen ermöglichen das Definieren oder Ausschliessen von potentiellen Verursacherorganen, die wiederum nach den Regeln der Energieverlagerung spezifisch behandelt werden können. Die bekannten Befunderhebungstechniken, wie beispielsweise die ORK, geben auch im weiteren Verlauf der Behandlung, Auskunft über die energetischen Gegebenheiten der betroffenen Gebiete.

Voraussetzung für die ergänzende Arbeit mit segmentalen Zustimmungen, sind vorausgegangene APM-Behandlungen, die Flussbedingungen geschaffen haben und dadurch eine zuverlässige und differenzierte energetische Befunderhebung ermöglichen.

Erstaunliche Interpretationen von Beschwerden, wie beispielsweise eine schmerzende Achillessehne, deren Ursache auf ein Problem in der Blase zurückgeführt wird, erlangen so nebst den Erklärungsmodellen der Meridianlehre, Erklärungsmodelle der Schulmedizin. Dabei haben APM-Therapeuten den entscheidenden Vorteil, dass solche Überlegungen zum grundlegenden Interpretationsspielraum gehören. Da behandeln, wo der Schmerz ist, wird durch dieses Verständnis noch fraglicher und interdisziplinäre Zusammenarbeit kann durch diesen Ansatz entscheidend ergänzt und bereichert werden.

Theoretische Grundlagen

Was ist ein Segment?

Ein Segment beinhaltet verschiedene Funktionseinheiten die ein Körpergebiet umfassen. Bei den Vertebraten (Wirbeltieren) umfasst es das Versorgungsgebiet eines Spinalnervs, welcher die Haut, die Muskulatur, die Knochen und die Organe innerviert. Das Segment stellt die Wechselbeziehung zwischen Körperoberfläche und dem Körperinnern her. Die bestehenden Verbindungen sollten daher auch bei der energetischen Betrachtung miteinbezogen werden.

Bausteine eines Segments

  • Hautareal - Dermatom
  • Muskelabschnitt - Myotom
  • Skelett - Sklerotom
  • Eingeweide/Organe - Enterotom /Viszerotom
  • Nerven - Neurotom

Alle diese ‚Tome‘ stehen miteinander in neuraler Verbindung. Das bedeutet, dass jedes Versorgungsgebiet auf Reize, eines am selben Nerv angeschlossenen Gebietes, im Sinne eines Reflexes reagiert und bei jedem Erregungszustand beteiligt ist.

Reflexbogen der Peripherie

Tritt ein Reiz auf einen Segmentanteil wird die Erregung über eine afferente Bahn zum Rückenmark geleitet. Von hier über eine efferente Bahn als Eigenreflex zum Reiz-Ort zurück, oder als Fremdreflex zu anderen Teilen des betroffenen Segments. Durch solche Reflexe werden alle Teile des Segments in einen nervösen Zustand versetzt.

Zusammenfassung

Wie bei den energetischen Funktionskreisen, kennt der Körper auch bei der Erregungsübertragung in den Reflexbogen, keine Einbahnstrassen! So ist es erklärbar, dass traumatisch bedingte, muskuläre Verletzungen über den Fremdreflex die segmental verbundenen Strukturen beeinflussen können. Andererseits muss der Körper nur mit den segmental betroffenen Gebieten reagieren. Es ist also nicht sogleich der ganze Körper von einer Irritation betroffen, unbeteiligte Gebiete können normal weiterarbeiten.

Der Spinalnerv verbindet alle, von ihm versorgten Strukturen zu einer synchron reagierenden Einheit.

Die Spinalnerven

Die Spinalnerven sind gemischte Nerven. Sie bestehen aus sensiblen, motorischen und vegetativen Fasern, die ausschliesslich ihre Segmentanteile versorgen. Obwohl sie metamer (in hintereinanderliegende, gleichartige Abschnitte gegliedert) aufgebaut sind, sind sie am Körper nicht Deckungsgleich. Das bedeutet, dass vor allem im oberen Körperbereich das Dermatom nicht auf derselben Körperhöhe wie das Myotom und das Sklerotom liegt. Aus diesem Grund müssen diese später gesondert betrachtet werden.

Das periphere vegetative Nervensystem

Zuordnung der vegetativen Spinalnerven

Die spinalnervliche Zuordnung lässt sich in einen kranialen, einen thorako-lumbalen und einen sakralen Abschnitt unterteilen.

Parasympathische Abschnitte

Der kraniale Abschnitt hat seinen Ursprung im Zwischenhirn, Mittelhirn und der Medulla und bildet den N. vagus.

Der sakrale Abschnitt tritt mit dem 2. dem 3. und 4. Sakralnerv aus und bildet die Nn. pelvici.

Sympathischer Abschnitt

Der thorako-lumbale Abschnitt entspricht sympathischen Fasern. Die Ursprungszellen des sympathischen Grenzstranges sind auf C8- L3 (L4) beschränkt.

Die Verbreitung vegetativ-reflektorischer Zeichen

Störungen aller inneren Organe können durch Seiten- und Nebenäste im Rückenmark zu den sympathischen Ganglienzellen im Seitenhorn der ersten Brust-Segmente (Zentrum cilio-spinale) geleitet werden. Deshalb können Irritationen aller inneren Organe in den Bereich des Nackens, des Kopfes, des Halses und der Schultern gelangen.

Die post- und präganglionären Fasern breiten sich über Ganglienketten weiter aus, sodass für die Praxis nutzbar, nur folgende Aussage gemacht werden kann:

Obere Extremitäten

Sie werden beeinflusst von Organen die im Bereich C8 / Th 7 innerviert werden. Diese ziehen zum Plexus cervicalis, welcher die oberen Extremitäten versorgt.

Pathologische Impulse der Thoraxorgane werden zu den Armen weitergeleitet.

Die unteren Extremitäten

Th10 – L1 (auch Abdominalorgane) ziehen in den Plexus lumbalis (L4 / L5)mit N. femoralis und N. obturatorius. Th12 / L3 ziehen zum Plexus sacralis (S1/ S3) und dem N. ischiadicus.

Pathologische Impulse der Abdominal- und Beckenorgane werden in die Beine weitergeleitet.

 

Merkmale des Sympathikus und des Parasympathikus

Sympathische Fasern verursachen an der Körperoberfläche algetische (schmerzhafte) und vegetativ-reflektorische Zeichen. Parasympathische Fasern verursachen ausschliesslich algetische Zeichen.

Die vegetativ-reflektorischen Zeichen äussern sich wie folgt:

Die Veränderungen in Dermatomen kommen durch Vermittlung von Spinalnerv und Sympathikus/Parasympathikus zustande. Der Spinalnerv zeigt das „Wo“, der Sympathikus/Parasympathikus das „Wie“ einer Störung an.

Die inneren Strukturen (Enterotom, Myotom) transferieren ihren Zustand nach aussen.

Wird am Dermatom eine Kälte getastet, so kann, auch in den angeschlossenen inneren Strukturen, von einer Vasokonstriktion ausgegangen werden. Dementsprechend könnte ein gezielter Reiz über das Dermatom eine positive Wirkung auf die Struktur in der Tiefe bewirken. Allerdings müssen zuerst die energetischen Flussbedingungen des entsprechenden Gebietes beachtet werden.

 

Beispiel

Das immer kalte Gesäss einer Klientin

Ein kalter Körperabschnitt weist auf eine verminderte Durchblutung, sprich auf eine verminderte neurale Versorgung, hin. Das bedeutet, dass die an diesen Spinalnerven angeschlossenen Organe, Muskeln und Knochen auch vermindert durchblutet und dementsprechend in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Die Vorteile der Akupunktur Massage nach Radloff liegen beim Auffinden von Ursachen von solchen Symptomen. Mit Hilfe des Ohres, der Sand- und Seidentastung, des ACR und Verlaufsbeobachtungen können wir klar den energetischen Zustand der betroffenen Dermatome definieren. Die energetischen Regeln bestimmen dann die Art und den Ort, und damit die Reizsetzung. Das kalte Gesäss kann in Fülle oder in Leere sein.

  • Die Leere kann entstehen aufgrund blockierter Iliosacral- oder Wirbelgelenke, welche die Energie des Blasenmeridianes blockieren. Durch das Mobilisieren dieser Gelenke wird das Gesäss besser versorgt. Inhibition kann zur Intensivierung eingesetzt werden.
  • Ein weiterer Grund für die bestehende Leere könnte eine energievolle Lunge sein, welche keine Energie in ihr Oppositionsgebiet fliessen lässt.
  • Die Fülle kann durch einen blockierten Blasenmeridian im Bereich der Beine, z.B. Kniegelenk, oder des Meridians selbst entstehen. Nicht fliessende Energie kühlt aus. Die Gefahr besteht, dass wir Kälte fälschlicherweise als Leere interpretieren! Denken wir an das Beispiel der Bodenheizung. Im Falle einer „kalten Fülle“ wäre es falsch, im Gebiet des Gesässes, Wärme anzuwenden oder zu massieren.
  • Natürlich kann diese oberflächliche Kälte – Vasokonstriktion - auch durch ein, gestörtes Organ, verursacht werden. Der energetische Zustand dieses Organes kann mit Hilfe der Ohr-Zonen, der Alarm- und Zustimmungspunkte und der Verlaufskontrolle definiert werden. Das Gesäss entspricht den Dermatomen L2-S3. Es kommen also die Organe Dickdarm, Dünndarm, aber auch die Unterleibsorgane in Frage
  • Viele weitere Gründe für das kalte Gesäss bestehen. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen alle aufzuführen. Allerdings; Die Entschuldigung des zu wenig durchbluteten Fettgewebes in der Unterhaut dieses Bereiches lasse ich nur bedingt gelten. Es zeigt sich, dass der Körper ein erkranktes Organ in der Regel versucht durch Wärmeisolation zu schützen. Entweder bildet er Fettgewebe direkt um das betroffene Organ oder an der angeschlossenen Körperoberfläche! Relativ isoliert auftretendes Fettgewebe kann also auch ein Hinweis auf eine organische Störung sein.

 

Zum Abschluss

Die Fortsetzung dieses Artikels folgt im ECM 2-12.

In der folgenden Artikelserie zum Thema ‚Segment Anatomie in der Akupunktur Massage nach Radloff®' möchte ich näher darauf eingehen, welche Sklerotome, Myotome, Enterotome und Dermatome sich am Körper wo und wie zeigen und welche Behandlungsmöglichkeiten wir haben.

zum nächsten Artikel dieser Reihe, Segmentanatomie (2)

 

Literatur

Ingrid Wancura-Kampik: Segment-Anatomie

Ilse Schuh: Bindegewebsmassage

Werner Platzer: Taschenatlas der Anatomie, Bewegungsapparat

Werner Platzer: Taschenatlas der Anatomie, Nervensystem und Sinnesorgane

Werner Platzer: Taschenatlas der Anatomie, Innere Organe